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Bilder für die Kirche 

»In der abendländischen Geschichte sind Kirche und Kunst eng miteinander verbunden. Religiöse Zwecke bestimmten für Jahrhunderte Form und Inhalt der Bilder. Es handelte sich nicht um Kirchenkunst in unserem heutigen Verständnis, sondern Kunst war ohne Kirche kaum denkbar. Kunst war stets höheren Idealen - kirchlichen oder weltlichen - untergeordnet und stand in dienender Funktion, indem sie sichtbare Dinge wiedergeben oder nicht sichtbare darstellen sollte. Bereits früh erkannte und schätzte die Kirche Bilder als Träger und Mittler religiöser Inhalte. Wie die biblischen Texte, die vom Wirken Gottes auf Erden handeln, berichten auch die christlichen Bilder von Gottes Präsenz. 

Bilder können Texte erläutern, können sie bildhaft ausdrücken, wodurch das geschriebene Wort anschaulicher wird. Kunst vermag aber auch etwas mitzuteilen von der Beschaffenheit unserer Welt, das sich nicht durch das Wort ausdrücken lässt. Bilder berichten Wahrheiten, die ohne sie verschlüsselt blieben. Denn nur durch das Denken in Bildern sind wir in der Lage, die uns umgebende Wirklichkeit oder - religiös gesprochen - die Schöpfung zu begreifen. Insofern ist jedes Kunstwerk eine Befragung der Wirklichkeit und zugleich eine mögliche Antwort. Kunst ist somit die Verwirklichung von Möglichkeiten. Und die Geschichte der Kunst ist demnach nichts anderes als die Geschichte der Verwirklichung von Möglichkeiten. Jede Epoche tätigt ihre Befragung der Wirklichkeit mit den Mitteln ihrer Zeit und mit Hilfe des Stils ihrer Zeit. 











Während die biblischen Texte seit fast 2000 Jahren weitgehend unverändert geblieben sind, haben sich die Bilder radikal geändert. Geistesgeschichtliche Entwicklungen wie Humanismus und Aufklärung haben den Grundstein dafür gelegt, dass sich die Kunst und Kirche zusehends voneinander entfernten und heute eigene Wege gehen. In dem Maße, wie die Kirche aus ihrer gesellschaftlichen Relevanz herausgedrängt wurde, hat sich auch die Kunst von der Kirche entfernt. Heute bestimmt die Kunst ihre Themen und Inhalte eigenständig. Die Befreiung von kirchlichen Zwängen war nicht zu ihrem Nachteil. Zeitgenössische Kunst und Kirche gehen keinen gemeinsamen Weg mehr, sondern müssen für eine mögliche Gemeinsamkeit erst zusammenfinden. Das vormalige selbstverständliche Zusammengehen von Kirche und Kunst hat sich zu einer Besonderheit gewandelt. 

Ein solches besonderes Zusammentreffen findet für sieben Wochen in der Kirche Beatae Mariae Virginis in Wolfenbüttel statt. Die Besonderheit besteht auch darin, dass gerade eine evangelische Kirche den Dialog mit den Bildern sucht und junge Künstler auffordert, Arbeiten für ein homogenes, kirchliches Gesamtkunstwerk des 17. Jahrhunderts zu erstellen. Die prachtvolle und reich ausgestattete Kirche, deren Glanz durch eine Restaurierung noch erhöht wurde, ist Schauplatz einer temporären Präsentation - oder auch Installation - von 20 Arbeiten aus der Klasse von Prof. Tadeusz an der Hochschule für Bildende Künste in Braunschweig. Die beteiligten 11 Künstler schufen innerhalb weniger Wochen Arbeiten für diese Kirche, zum Teil speziell für eine bestimmte Platzierung. Die Themen sind frei und dementsprechend vielschichtig. Einige Künstler nehmen direkt auf religiöse Inhalte oder auch auf in der Kirche befindliche Kunstwerke Bezug; andere thematisieren freie Sujets, die sich aber durchaus religiös deuten lassen, und wieder andere setzen unbeeinflusst ihre in der Akademie erarbeiteten künstlerischen Positionen fort. In einigen Fällen war das Kirchenprojekt willkommener Anlass, langgehegte Bildideen in großem Format zu realisieren. Von allen wurde das Projekt als Auslöser für neue Bilder und als Chance für neue Themen betrachtet. Jedes Werk muss als individueller Beitrag zum Gesamtprojekt verstanden werden. 

Alle Arbeiten entstanden in der Atelierhalle der Hochschule und wurden nach Fertigstellung transloziert. Mit dem Transfer von der kargen Montagehalle in die besondere Atmosphäre der Kirche trat zugleich ein bedeutsamer Wandel ein: Die diffuse Farbwelt der Kirche und ihr reicher Dekorationsschatz übertrugen sich mildernd auf die leuchtende Farbigkeit der Bilder und ebnete die farbigen Kontraste ein. Einige Farbtöne wirken jetzt, als seien sie direkt dem Kirchenbau entlehnt worden. Durch die Hängung hoch über dem Boden veränderten sich auch Proportion und Dimension. Insgesamt wirkt die Installation harmonisch und aus einem Guss, obwohl die Arbeiten isoliert betrachtet thematisch und formal weit voneinander abweichen. Die Weite des Kirchenraumes (70m Länge, 36,5m Breite, 16,5m Höhe) und seine besondere Farbigkeit erforderten ein durchdachtes Eingehen auf vorgegebene Situationen, denen sich alle mit Engagement und Individualität gestellt haben. 

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Ein Bild stellt jedoch zugleich eine neue Qualität von Wirklichkeit dar, quasi eine Zweite Schöpfung, materiell wie auch inhaltlich. Religiöse Wahrheit wird mit künstlerischer Wahrheit konfrontiert. Aufgrund des Eigenlebens der Bilder, auch weil den Bildern bisweilen mehr Verehrung zuteil wurde als den zugrunde liegenden Texten, sah sich die Kirche zu gewissen Zeitpunkten genötigt, die Bilder in ihre auferlegten Schranken zu weisen. Zu den Höhepunkten des gegenläufigen Interesses von Kunst und von Kirche gehören der Bilderstreit des 8./9. Jahrhunderts in Byzanz und die Bilderstürme der Reformation in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts. Kunst und Kirche vermitteln Wahrheit, künstlerische und religiöse. In der Auffassung radikaler Bildergegner aber geht die Wahrheit nur vom Wort aus.